Studienfahrt Auschwitz/ Oświęcim: Geschichte der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau
Krystyna Oleksy, langjährige Mitarbeiterin der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und von 1990 bis zu ihrem Ruhestand 2012 deren stellvertretende Direktorin, referierte über die Geschichte der Gedenkstätte bis in die 90er Jahre.
Offiziell sei die Gedenkstätte 1947 eröffnet worden, aber besser sei wohl die Feststellung, dass es sie seit dem Krieg gäbe, erzählt Krystyna Oleksy. Die ersten Besucher kamen bereits im Sommer 1945, Angehörige, die nach Spuren ihrer Familienmitglieder suchten. Aber das Besucherbuch des Geländes zeigt, dass bereits zu diesem Zeitpunkt Gruppen kamen.
Zunächst geht Krystyna Oleksy auf das Aussehen der Gedenkstätte ein. Die Objekte hätten damals anders ausgesehen als heute. „Diese vielen Jahre spürt man, obwohl von Anfang an alles Mögliche getan wurde, um die Objekte zu schützen.“, so Oleksy. Zum Bewuchs des Lagergeländes sei zu sagen, dass die meisten Bäume später (nach)gepflanzt wurden. Die Birken aber seien aus der Lagerzeit, die Pappeln haben jedoch nicht so lange überlebt und wurden nachgepflanzt. Die Todeswand zwischen Block 11 und 12 wurde erst abgebaut, aber sie sei so wichtig für polnische Häftlinge gewesen, dass sie bald rekonstruiert wurde. Teilweise wurde das Material der Baracken in der Umgebung als Baumaterial verwendet, Spuren davon kann man bis heute finden.
Konzeption und Umfang der Gedenkstätte
Die Gedenkstätte wurde 1947 in einer großen Veranstaltung mit dem polnischen Ministerpräsidenten eröffnet. Das Gesetz des polnischen Parlaments stammt vom Sommer 1947, das war der offizielle Gründungsakt. Im Gesetz steht, dass das Gelände mit den Objekten für die Ewigkeit erhalten werden muss. Ein zweites Gesetz stammt aus dem Jahr 1979, der Staat Polen verpflichtete sich damit, alles für immer zu erhalten.
Für die Gedenkstätte stellte sich zunächst auch die Frage nach ihren räumlichen Grenzen. Es gab mehrere Konzepte. Krystyna Oleksy berichtet: „Manche wollten alles entfernen.“ Diese Personengruppe wollte die Objekte des Leidens entfernen und nur ein Denkmal bauen. Weiter gab es beispielsweise Überlegungen, alle drei Teile des Lagers als Gedenkstätte zu bewahren, auch Monowitz. Schließlich wurde dann entschieden, nur das Stammlager und das Lager Auschwitz II Birkenau zu erhalten.
Das damit entstehende Gedenkstättengelände umfasst heute zwei Hektar Gelände, 154 Gebäude und Hunderte von Ruinen. In den 90er Jahren wurden die bestehenden Betonpfosten aufwendig restauriert, zum ersten Mal unterstützte die bundesdeutsche Regierung die Gedenkstätte zu diesem Zeitpunkt finanziell.
Kunstwerke und Dokumente
Nicht alles, was in der Gedenkstätte bewahrt wird, ist auch zu sehen. Die Gedenkstätte Auschwitz Birkenau hat beispielsweise eine sehr große Sammlung von Kunstwerken aus der Lagerzeit. Eine riesige Sammlung von Dokumenten findet sich im Archiv, solche, die auf dem Lager nach der Befreiung gefunden wurden, aber auch andere Bestände, etwa Sterbebücher aus Moskau. Polnische Spezialisten konnten viele in sowjetischen Archiven lagernde Bestände auf Mikrofiches sichern. Aktuell gibt es keine Kontakte zu russischen Archiven oder nach Moskau, berichtet Krystyna Oleksy.
Diskussionen in den 90er Jahren
Anfang der 90er Jahre organisierte die Gedenkstätte eine internationale Konferenz zum Thema der Zukunft von Auschwitz. Es war möglich, Überlebende, Kunsthistoriker, Historiker, Konservatoren und andere Spezialisten aus der ganzen Welt einzuladen. Das Ergebnis bezeichnet Oleksy als widersprüchlich. Einige traten für weitgehende Rekonstruierungen ein, andere setzten sich für den Schutz des noch Bestehenden ein. Inzwischen bestünde Einigkeit, dass erhalten soll, was noch steht, darunter auch frühe Rekonstruierungen.
Immer wieder ist die Rede von einem „Symbol Auschwitz“. Vor allem in den 90er Jahren gab es heftige Diskussionen darüber, an welche verfolgten Gruppen besonders erinnert werden soll.
Die Referentin verdeutlicht die Bedeutung des Lagers Auschwitz für Polen: Für die Verfolgung von Polen wurde das Lager gegründet, sie waren die ersten Häftlinge, sie hatten die meisten Widerstandskämpfer im Lager und Auschwitz ist für Polen der größte Ort, wo auf geringem Platz so viele Menschen getötet wurden.
Für Juden gilt Auschwitz als das größte Vernichtungslager. Zu dieser Argumentation gehöre eine Unterscheidung zwischen Juden und den anderen nationalen Gruppen in den besetzten Länder. „Aber ich glaube, entscheidend dafür, dass Auschwitz für Juden so eine große Bedeutung hat, ist die Zahl der Überlebenden.“, so die Referentin. „Die Zahl der Überlebenden und die Zahl der Objekte. Ein weiterer Grund ist, dass die jüdischen Häftlinge aus allen besetzten Ländern Europas stammten.“ Auch hätten sich jüdische Historiker und andere Eliten sofort nach dem Krieg mit der Verfolgungsgeschichte beschäftigt. Die Sinti und Roma dagegen hatten solche Leute nicht.
Ausstellungen in der Gedenkstätte Auschwitz
Eine erste Ausstellung von 1947 gab es bis in die 50er Jahren. Das was heute größtenteils gezeigt wird, sind Teile der zweiten Ausstellung aus den 50er Jahren. Oleksy zeigt einige Fotos der ersten Ausstellung, die z.B. auch Stalin-Zitate beinhaltete. Auch für die zweite Ausstellung gab es politische Vorgaben: Insbesondere sollte der kommunistische Widerstand in Polen betont werden.
Denkmäler in der Gedenkstätte
Das erste Denkmal, das 1948 auf der Ruine von Krematorium 2 gebaut wurde, war das jüdische Denkmal mit einer Inschrift in den drei Sprachen Polnisch, Jiddisch und Hebräisch. Das zweite Denkmal wurde 1967 gebaut mit einer Inschrift auf einer Tafel. In den 90er Jahren wurde die Tafel entfernt, vor allem weil die Zahl der Opfer nicht mehr für richtig befunden wurde. Modernere Tafeln auf dem Gelände sind in der Regel vor allem Gedenktafeln.
Opferzahlen
Lange Jahre fußte die Geschichte des Lagers auf einer Zahl von vier Millionen Opfern, vorwiegend als Symbol, Historiker hätten sich in dieser Zeit damit nicht gründlich beschäftigt. Auch hätte es über die Zahl der jüdischen Opfer keine wirkliche wissenschaftliche Auseinandersetzung gegeben, meint die Referentin. Zum ersten Mal wurde 1982 von einem Chemiker ein Artikel mit der Zahl von 1,5 Millionen veröffentlicht. Auch darüber hätte es keine weitere Diskussion gegeben. Die erste wirkliche Diskussion entstand, nachdem die Gedenkstätte ein Buch von Frantiszek Piper veröffentlichte, das die Zahl diskutierte und korrigierte.
Diskussion um religiöse Symbolik in den 90er Jahren
Wie kam es zu den internationalen Auseinandersetzungen um religiöse Symbolik in Auschwitz? Krystyna Oleksy berichtet, dass auf der Wiese in der Nähe der sogenannten Sauna polnische Jugendliche, die jedes Jahr für drei Wochen für Aktion Sühnezeichen von Warschau nach Auschwitz kamen, Kreuze gebaut hätten. Aber die meiste Asche, die dort liegt, ist die Asche der jüdischen Opfer. Daraufhin bauten die Jugendlichen Davidsterne. Aber auf einem jüdischen Friedhof gibt es keine Davidsterne. Gleichzeitig stellten Nonnen eines bereits seit mehreren Jahren existierenden Karmelterinnenklosters ein Kreuz in der Mitte einer ehemaligen Kiesgrube auf, an einem Ort, an dem viele Häftlinge erschossen worden waren. Es war jenes Kreuz, das an der Rampe gestanden hatte, an der der Papst während seines ersten Besuchs in Auschwitz die Messe gehalten hatte und das von einer katholischen Gemeinde aufbewahrt worden war. Daraufhin protestierte ein jüdischer Rabbiner aus den USA sehr scharf.
Was dann folgte, waren jahrelange scharfe Diskussionen in allen möglichen Medien, auch international. Die Klosterschwestern zogen sich schließlich nach der entsprechenden Bitte des Papstes in andere Klöster zurück und die verschiedenen religiösen Symbole wurden an entsprechende Institutionen in der Nähe gegeben. „Wissen Sie, alles war so empfindlich.“ sagt Krystyna Oleksy heute zu der öffentlichen Debatte. „Das war ein Sturm. Wenn ein Stuhl in der Gedenkstätte umgestellt wurde, dann war er sofort Bestandteil der Diskussion.“
(18.1.2023; IS)