Ausstellungseröffnung in Dachau: Ein Projekt, das etwas mit uns macht

Deutlich spürbar war die enge Verbindung zwischen dem Ehrengast und Dachau-Überlebenden Ernst Sillem und der Rednerin Sydney Weith bei der Ausstellungseröffnung in Dachau am 27. April 2018. Die KZ-Gedenkstätte Dachau zeigt die nächsten zwölf Monate die Sonderausstellung „Namen statt Nummern. Niederländische politische Häftlinge im KZ-Dachau.“

Rednerin Sydney Weith, in der Bildmitte Ehrengast Ernst Sillem

Die heute 21jährige Sydney Weith schrieb vor fünf Jahren ein Gedächtnisblatt über Ernst Sillem, geblieben ist eine Freundschaft zwischen dem ehemaligen Häftling und der jungen Frau. Ernst Sillem besuchte, genauso wie Sydney 70 Jahre später, das Het Baarnsch Lyceum. Aber, so Sydney: „Es gab einen großen Unterschied: Es war nicht 2013, sondern 1941. Krieg. Die Deutschen waren in den Niederlanden einmarschiert und Ernst begriff nicht, dass ein befreundetes Land so etwas tun konnte. Daher wollte er aktiv werden.“ Ernst Sillem malte antideutsche Parolen an die Wände des Gymnasiums. Trotz umfangreicher Ermittlungen fand die Polizei nicht heraus, wer der Täter war. Sydney erzählt: „Außerdem hatte er mit dieser Aktion der Schule zu einer Woche Ferien verholfen. Wie er es selbst beschreibt: Es waren seine Glanzjahre.“

Wie es kam, dass Ernst Sillem doch als Gefangener in deutschen Konzentrationslagern und auch im KZ-Dachau landete, erzählt die Ausstellung und das von Sydney Weith verfasste Gedächtnisblatt. Sydney sagt heute: „Ich hatte nie erwartet, dass „Namen statt Nummern“ mich so lange beschäftigen würde.“ Aber es kam anders: „Inzwischen sind fünf Jahre vergangen, und ich stelle fest, dass „Namen statt Nummern“ für mich etwas ist, das nie zu Ende gehen wird.“

Als Download: PDF der Rede von Sydney Weith

 

„Ein Projekt, das etwas mit uns macht“

Der niederländische Generalkonsul Peter Vermeij freute sich, die „klug zusammengestellte und sehr beeindruckende Ausstellung“ eröffnen zu dürfen. Das damit verbundene Lern- und Biographieprojekt habe bei allen Beteiligten tiefe Spuren hinterlassen. „Ein Projekt, das etwas mit uns macht.“, betonte Vermeij beeindruckt. Er zitierte aus den Schlussfolgerungen der jugendlichen Autorinnen und Autoren: „Ich habe erlebt, wie sehr diese hässlichen Erfahrungen sein Leben prägten und wie sich das in die jetzige Generation fortsetzt.“, zitierte Vermeij einen Projektteilnehmer. Eine weiteres Zitat: „Ich bewundere seine positive Lebenserfahrung.“, meinte eine Autorin. Ein besonderes Dankeschön richtete Vermeij an die beteiligten Dachau-Überlebenden: „Darüber zu sprechen und solche schrecklichen Erfahrungen mit jungen Menschen zu teilen, ist nicht selbstverständlich.“

Zu Beginn der Veranstaltung hatte Gedenkstellenleiterin Gabriele Hammermann einen Überblick über die Gesamtzahl niederländischer Gefangener in deutschen Konzentrationslagern und deren Zugehörigkeiten gegeben.

 

„Briefe wie kleine Funken“

Wie kam es zum Gedächtnisbuchprojekt in den Niederlanden? Ein zufälliger Blick in ein Schaufenster gab Jos Sinnema den Anstoß, sich mit der Geschichte des Dachau-Häftlings Karel Horais zu beschäftigen: In der Auslage stand ein im KZ-Dachau geschriebener Brief von Karel Horais zum Verkauf. Sinnemas Recherchen führten ihn ins Archiv der Gedenkstätte, dort erhielt er einen Hinweis auf das Gedächtnisbuch.

Nicht zuletzt seine Erfahrungen bei der alljährlichen Gedächtnisbuchpräsentation am 22. März motivierten Jos Sinnema zur ehrenamtlichen Mitarbeit am Gedächtnisbuch, sie brachten ihn dazu, niederländische Schülerinnen und Schüler zum Mitmachen anzuspornen und sie bei ihrem Biographieprojekt zu unterstützen: „Vor allem, weil ich an diesem Tag erfuhr, wie wichtig das sein kann, und zwar sowohl für die Schüler als auch für die Überlebenden oder ihre Nachfahren.“

Was dann folgte, beschreibt Jos Sinnema so: „Karels Briefe, zur Handelsware geworden, sind in Amsterdam wie kleine Funken gewesen. Sie haben das Thema „Dachau“ in vier niederländische Schulen gebracht. Dort haben sich in den vergangenen Jahren viele Schüler intensiv in die Lebensgeschichten niederländischer Häftlinge vertieft. Ich denke, die Schüler haben viel dabei gelernt. Jeder auf seine eigene Art und Weise.“

 PDF-Download: Redemanuskript von Jos Sinnema

 

„Der Widerstand wird heute in den Niederlanden wieder mehr geschätzt“

Liesbeth van der Horst, Direktorin des Amsterdamer Widerstandsmuseums, berichtete von der Geschichte ihres Hauses und der schwierigen Rezeption des politischen Widerstands in ihrem Heimatland. „In den letzten Jahren wird der Widerstand in den Niederlanden glücklicherweise wieder mehr geschätzt. Vielleicht hat die Ausstellung, die hier heute eröffnet wird, einen Beitrag dazu geleistet.“

Vor drei Jahren hatte das Widerstandsmuseum die Ausstellung in Amsterdam gezeigt. Wichtig war dem Museum das der Ausstellung vorgeschaltete Bildungsprojekt, in dem junge Menschen unter Anleitung von Jos Sinnema für das Gedächtnisbuch Biographien für das Gedächtnisbuch schrieben. Ein weiterer roter Faden zieht sich durch die Ausstellung: „Anhand ihrer persönlichen Gegenstände wollen wir zeigen, wie Häftlinge in Konzentrationslagern ihre Menschlichkeit und Würde zu wahren versuchten, in einem System, in dem alles auf die Entmenschlichung angelegt war.“

Das in der Ausstellung gezeigte digitale Mahnmal für die rund 2000 niederländischen Dachau-Häftlinge ist Teil der Website des Amsterdamer Widerstandsmuseums. Angehörige von ehemaligen Häftlingen können heute noch Informationen ergänzen. „2017 wurde das Mahnmal mit 38 Ergänzungen erweitert.“, so Liesbeth van der Horst.

Als Download: PDF der Rede von Liesbeth van der Horst

 

Besucher-Feedback: „Ich komme noch einmal!“

„Die Ausstellung ist wunderbar! Ich komme noch einmal und schaue mir das alles ganz genau an.“, so eine Besucherin nach der Ausstellungseröffnung. Das Niederländische Generalkonsulat lud im Anschluss an die Eröffnung zum Büffet und Meinungsaustausch im Seminarraum: Angeregt sprachen die Besucherinnen und Besucher über Aspekte der Ausstellung und über Exponate, die besonders beeindruckten. Mancher hatte bereits ein Lieblingsstück gefunden.

Einige Besucher wunderten sich, dass in der Ausstellung ein Hinweis auf die in der nahen Versöhnungskirche immer einsehbaren Gedächtnisblätter fehlt. Leider fehlt auch ein Hinweis auf die noch bis zum 30. September 2018 in der Versöhnungskirche gezeigte Wanderausstellung des Gedächtnisbuchs „Namen statt Nummern“, in der unter anderem die Biographie des niederländischen Häftlings Henk van de Water präsentiert wird.

 

Fotos von der Veranstaltung

 

Weitere Informationen zu Ort und Öffnungszeiten der Ausstellung entnehmen Sie bitte unseren Veranstaltungskalender rechts auf dieser Website.

Vielen Dank für die Genehmigung zur Publikation der Reden an die Autorinnen und Autoren und für die Überlassung der Übersetzung an die KZ-Gedenkstätte Dachau.

(4.5.2018; Text/Fotos: Irene Stuiber)