Unterrichtsgespräche rund um die Gedächtnisbuch-Ausstellung
Alle zwei Jahre zeigt die Berufsfachschule für Kinderpflege in München die Gedächtnisbuch-Ausstellung „Namen statt Nummern“. Welche Diskussionen sich daran im Unterricht anschließen, zeigt dieser Artikel.
Roswitha Röll, Lehrerin für Ethik und ethische Erziehung an der Städtischen Berufsfachschule für Kinderpflege in München, berichtet, wie die Ausstellung von ihren Schülerinnen und Schülern gesehen und diskutiert wird:
„Warum beschäftigen wir uns mit den Juden? Und jetzt auch noch mit dem Dritten Reich?“ Diese Frage beschäftigt einen muslimischen Schüler aus der 10. Klasse der Städtischen Berufsfachschule für Kinderpflege in München. Die Ethikgruppe der Klasse sucht nach verschiedenen Antworten, aber auch Fragen. Warum nicht mit Muslimen, oder Flüchtlingen, oder …?
Weil wir in Deutschland leben. Weil doch die Juden verantwortlich sind für …. Spätestens da wird klar, dass das Thema Antisemitismus nicht ohne Grund im Lehrplan steht.
Nachdem die Schülerinnen und Schüler erkannt haben, dass Schummeln, Knete oder Moos für Geld oder aber Zocken nicht eine Erfindung der Jugendsprache von heute ist, begreifen sie, dass es hier um einen Teil der deutschen Bevölkerung geht.
Fragen rund um die Ausstellung
Die Ausstellung “Namen statt Nummern”, die aus dem „Gedächtnisbuch für die Häftlinge des KZ Dachau“ hervorgegangen ist und nun das erste Mal nach Corona wieder im Schulhaus gezeigt wird, kommt da gerade recht. Nach einer kurzen Einführung geht es in den Ausstellungsraum. Die Schülerinnen und Schüler verteilen sich und betrachten in kleinen Gruppen die Banner mit den Biografien. Es tauchen Fragen auf, z.B. warum auch Priester im Konzentrationslager waren, aber auch, warum ein Mensch dorthin kommt, der nur nach seinen eigenen Vorstellungen leben wollte.
Das Banner mit der Abbildung des Denkmals der Häftlinge auf dem Todesmarsch erregt die Aufmerksamkeit einer Betrachterin. „Da gehe ich jeden Tag mit meinem Hund vorbei. Wofür ist das eigentlich da?“ Mühselig entziffern die Schülerinnen die Schrift auf der Tafel an der Häftlingsgruppe. Die Lehrkraft ergänzt die Informationen. „Wow, so kurz vor der Befreiung noch so etwas, das ist ja grauenhaft!“, entsetzt sich die Gruppe.
Wieder im Klassenraum stellt die Lehrkraft die Eingangsfrage des Schülers zurück an die Klasse. „Warum beschäftigen wir uns mit den Juden?“ Die Antworten kommen sofort. „Weil das so schlimm war.“ „Weil das niemals wieder passieren darf.“ „Weil diese Menschen ja nichts verbrochen haben, außer dass sie einen anderen Glauben hatten oder auch gegen die Regierung waren.“
Die Ethikgruppe stellt die Verbindung her zu den Menschen, die heute als „anders“ betrachtet werden. Zwei Mädchen mit Kopftuch erzählen von ihren Erfahrungen, die Gruppe erinnert sich an den Mitschüler aus Afghanistan, der zunächst auch „anders“ war, dann aber schnell in die Klassengemeinschaft integriert und unterstützt wurde.
Obwohl oder gerade deshalb, weil die Schülerinnen und Schüler dieses Schuljahr im NS-Doku-Zentrum auch noch die Gelegenheit hatten, bei einem Live-Interview mit Charlotte Knobloch dabei zu sein, beschließen sie, noch dieses Schuljahr das Konzentrationslager Dachau zu besuchen.
„Warum beschäftigen wir uns mit den Juden? Weil das Thema zu wichtig ist, als dass es in Vergessenheit geraten darf.“
(22.6.2023; Foto: Roswitha Röll; Text: Roswitha Röll/IS)