Niederlande: Brief aus Dachau nach 75 Jahren zugestellt

„Liebe Frau und Kinder“, schrieb der niederländische Häftling Hugo Esch am 3. September 1944. „Heute darf ich euch wieder schreiben und das macht mich froh.“ Doch der Brief kam nie an. Bis zu dieser Woche. Michael Mason, der Sohn eines amerikanischen Soldaten, der bei Kriegsende in München war, überreichte ihn Esches jetzt 77-jähriger Tochter.

Es war ein rührendes Treffen zweier Menschen, die bis vor Kurzem nichts voneinander wussten. „Für mich ist das ein sehr wichtiger Moment“, sagte José De Beer-Esch, als Michael Mason ihr den Brief gab. „Der Brief ist von meinem Vater geschrieben worden. Es ist seine Schrift und es sind seine Worte, die zeigen, dass er im KZ an uns gedacht hat.“

„Ich sehne mich sehr nach dir und den Kindern“, schreibt Hugo Esch an seine Frau. Im Brief beschreibt er jedoch auch, wie mit der Dauer der Haft der Abstand wächst. Als Hugo den Brief schrieb, hatte er wegen „Beleidigung des Führers“ schon ein Jahr in den KZs Vught und Dachau verbringen müssen. „Das Kleinste kann ich mir kaum noch vorstellen“, schreibt er über die damals einjährige José, das jüngste seiner zwei kleinen Kinder. Kurz nachdem er das geschrieben hatte, wurde Hugo nach Auschwitz überstellt. Von dort aus ging es Anfang Januar 1945 zu Fuß nach Mauthausen, wo er einige Tage nach Ankunft des Todesmarsches umgekommen ist. Von Auschwitz und Mauthausen aus empfing die Familie keine einzige Nachricht mehr von ihm. Damit sind Hugos Worte im Brief vom 3. September 1944 aus Dachau auch die letzten Worte an seine Familie.

Michael Mason fand den Brief, dessen Umschlag den Stempel „Postverbindung z Zt unterbrochen Zurück Absender“ trägt, im Nachlass seines Vaters Roy Mason. Roy diente im Krieg in Nord-Afrika, Italien, Frankreich und letztendlich auch in Deutschland. Bei Kriegsende war er mit seiner Einheit in München. Vielleicht ist er in Dachau gewesen, hat er den Brief dort gefunden und als Souvenir mitgenommen. Dass der Brief Anfang September 1944 nicht zugstellt werden konnte, hat damit zu tun, dass die Alliierten zu dieser Zeit bereits Esches Wohnort Kaatsheuvel in den Niederlanden näherten.

Für Michael Mason war der Brief Anlass, im Internet nach dem Namen „Hugo Esch“ zu recherchieren. Dabei stieß er auf die Website Geen nummers maar Namen, auf der alle niederländische Insassen des KZs Dachau namentlich erwähnt werden. Die Website wurde 2015 vom Widerstandsmuseum Amsterdam veröffentlicht, als Teil einer Ausstellung über Dachau, für die die Arbeit niederländischer Schüler für das Gedächtnisbuchtprojekt in Dachau als Ausgangspunkt diente. Michael lud einen Scan des Briefes auf der Website hoch, ein Freund von José entdeckte den Scan und machte sie darauf aufmerksam. José rief beim Widerstandsmuseum an und dieses stellte den Kontakt her.

„Ich habe meinen Vater nie gekannt und dieser Mangel ist ein roter Faden in meinem Leben gewesen“, erzählt José De Beer-Esch sichtbar gerührt. „Deshalb bedeutet dieser Brief sehr viel für mich.“ Michael Mason kann dies gut nachfühlen. „Als ich erfuhr, dass noch eine Tochter von Esch am Leben ist,  wollte ich, dass sie den Brief nachträglich empfängt.“ Nur um José den Brief persönlich geben zu können, reiste Michael von Denver, Colorado, für einige Tagen nach Europa. „It’s the right thing to do.“

Links:

Website niederländischer Insassen des KZ Dachau, Widerstandsmuseum Amsterdam

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(17.11.19; Jos Sinnema)